Pädophilie, Hysterie, Therapie – leise Gedanken zu Vinterbergs Neuem

Das Thema Pädophilie in den Medien hat mich schon lange interessiert. Ich glaube, das hängt mit meiner frühzeitigen Faszination des verbotenen Films zusammen. Bereits während der Schulzeit habe ich erste wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema gewälzt und als ich mich dann während meines Studiums in Augsburg genau zwischen dem Kreuzfeuer von mir bereits so vertrauten Bewahrpädagogen (Glogauer) und Medienkompetenz-Befürwortern (Hausmanninger) wiederfand, hat das meine Wahl zum Studium der Medienwissenschaft entscheidend beeinflusst.

Während sich das damals noch vorherrschende Thema „Gewalt in den Medien“ so langsam ausläuft, harte Filmkost irgendwie den Mainstream erreicht hat und sogar die FSK zunehmend beginnt, Filme vom Index zu nehmen und sogar neu zu alterskennzeichnen, hat sich mein Interesse an Medienzensur zunehmend verflüchtigt – geblieben ist am Ende vor allen Dingen wirklich das Thema Pädophilie im Film. Vielleicht, weil sie eine Verwicklung eines von mir hoch geschätzten Regisseurs inne hatte. Vielleicht auch, weil die Erzählungen von guten Freunden mein Weltbild über die diesbezügliche Dunkelziffer zunehmend erschütterte. Vielleicht aber auch, weil andere Freunde von mir schon unter falschen Vergewaltigungsanschuldigungen ganz stark in die Scheiße geritte wurden. Ganz sicher aber, weil es derzeit das wohl letzte richtige Tabu-Thema in den Medien ist.

Egal, ob es nun Terry Gilliams brandgefährliches Tideland ist (nebenbei trotz des Alters immer noch der meistbesuchte Artikel auf dem Blog) oder ein sex-ventiliertes Elfen Lied – der Umgang damit ist zweifelsohne genauso vielseitig wie schwierig. Während ich bei allen anderen Medienthemen irgendwie zu meinen persönlichen Konsens der mediensozialen Verantwortung gekommen bin, gelingt mir dies bei dem Thema nicht. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich mich weiter damit beschäftige. Die unfassbar schleppende Aufarbeitung des rituellen Mißbrauchs (von „die Kinder lügen“ bis „halb so wild“) tut sicherlich ihr übriges dazu.

Und nun läuft im Kino: Thomas Vinterbergs Die Jagd. Bereits sein „Das Fest“ über Kindesmißbrauch hat mich damals umgehauen. Ein Schlag in die Magengrube, der lange nachwirkt und den ich danach so schnell nicht mehr sehen konnte. Ein wirklich toller Film. Ein toller Regisseur. In „Die Jagd“ geht es nun weniger um den Fall an sich als vielmehr um die Hysterie, mit der das Thema „Pädophilie“ als Totschlagargument genutzt wird: Ein Mann wird des Kindesmißbrauchs verdächtigt. Obwohl er unschuldig ist, tritt allein das Thema eine Welle der Gewalt in Gang, unter der am Ende alle -selbst die Kinder- leiden.

(Foto aus: „Die Jagd“) 

Eine gewagte These – die ohne Zweifel mehr kaputt machen als aufdecken könnte. So zumindest die Theorie, wären wir bei den Bewahrpädagogen. Ich bin hin und hergerissen, ob ich so einen Film gutheißen soll. Genau so polarisiert sind nun auch die Meinungen dazu:

Die einen sehen den Film als ein fantastisches Werk gegen den umgreifenden Hysterie-Wahnsinn mit einer Aussage zu mehr Besonnenheit. Mit dem Wunsch nach einer Welt, bei der weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Eine Welt, in der das Kinderpronographie-Thema nicht als Argument für billige, vorgeschobene Internetzensur herhalten muss. Vielleicht auch eine Welt, in der Männer nicht sofort unter Generalverdacht gestellt werden.

Und dann gibt es die andere Seite, die in „Die Jagd“ einen grundweg gefährlichen Film sehen. Ein Film, der mit den wahren Opfern von Kindesmißbrauch Zynismus betreibe. Ein Film, der die Glaubwürdigkeit von Kindesaussagen in Abrede stellt und im schlimmsten Fall dafür sorge, dass die wahren Täter nicht zur Strecke gebracht würden. Ein Film, in dem Pädagogen zweifelhaft sowie Frauen und Mütter hysterisch dargestellt würden und der damit selbst hysterisch sei – nämlich gegenüber der Angst, dass es den Falschen erwischen könne.

Noch paradoxer ist nun die Tatsache, dass sich gerade eben ein regelrechter Shitstorm gegenüber den negativen Kritikern des Films breit macht. Genau die Fraktion des „Nicht-Hysterisch“-Werdens und der Besonnenheit treten nun als hysterische Verteidiger des Films auf. Das geht von einfachen Diskussionen zu regelrechten Haßtiraden – beispielsweise bei Charlotte O’Sullivan vom Standard oder bei David Jenkins. Egal was genau nun der Film bewirkt – er zeigt mir erneut, wie ungeheuer wichtig diese Aufarbeitung des Themas ist. Wenn Männer, die eigentlich keine pädophilen Neigungen haben, von Dauerschuldgefühlen sprechen finde ich das behandelnswert und wenn sich demgegenüber Pädophile direkt in Youtube-Kommentare einklinken um ihre Weltsicht zu verbreiten richtiggehend beängstigend.

Irgendwie sitze ich also erneut zwischen zwei Stühlen der medialen Wahrnehmung und weiß nicht so recht, was ich glauben soll. Sicher bin ich mir mittlerweile nur, dass wir als Gesellschaft darüber reden müssen. Und zwar über unser Verhältnis zum Ausdruck „Pädophilie“ als politisches Kraftwort genauso wie zum unter den Teppich-gekehrten Mißbrauchs. Und was die Medien betrifft müssen wir uns vermutlich auch ganz konkret mit der Darstellung des Themas und seiner Gefahren beschäftigen – so wie wir es jahrelang eben auch mit den Gewalt in den Medien gemacht haben. Insofern ist Vinterbergs Beitrag viellicht trotz (oder gerade wegen) seiner Polarisierung schätzenswert.

Dann müsste ich mir den Film also doch noch ansehen.

Hmm.

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