The Act of Killing – Deutschlandpremiere inkl. Q&A mit Christine Cynn

Einige von uns mussten unweigerlich an die Nürnberger Prozesse denken, als wir gestern der Director’s-Cut-Premiere des Films „The Act of Killing“ beiwohnten: An die Szenen, wo Nazis ihre schlimmsten Verbrechen relativierten – im festen Glauben, doch das richtige getan zu haben. Und als ich mich vor einiger Zeit mit der Holocaust-Leugnung beschäftigt hatte, fand ich das kollektive Unbewusstsein einer ganzen Bevölkerung über offensichtlich vor den eigenen Augen begangener Taten für das ohne Zweifel interessanteste Phänomen.

Oder anders gesagt: Dass der Mensch über traumatisierende Ereignisse, passendes Rechtfertigungsumfeld (und vielleicht nur ganz selten durch eine soziopathische Ausprägung) in der Lage ist, sich alles zu rechtfertigen – auch die schlimmsten Taten. Und wenn die Wahrheit dann doch hochkommt, dann schluckt es bei Bedarf auch ein ganzes Land wieder runter und tut so, als wäre nichts gewesen. In „The Act of Killing“ geht es genau um das – und doch um noch soviel mehr.

„The Act of Killing“ ist ein Dokumentarfilm, der die Killer eines Genozidkommoandos in Indonesien zur Rede stellt. Dort hat man 1965 über eine Millionen Regimegegner nach einem Militärputsch systematisch ermodert. Im Gegensatz zu Fällen wie in Nazi-Deutschland wurden die Mörder aber nie zur Rechenschaft gezogen. Noch heute ist es nahezu unmöglich, Überlebende von damals zu befragen – das Militär hält die Wahrheit durch Repressalien, Zensur und Propaganda fest im Würgegriff.

Im Dokumentarfilm sprechen die filmbegeisterten Killer, die in ihrem Land als Helden gefeiert werden, aber nicht nur schamlos über die Morde, sie stimmen auch der Idee zu, ihre Geschichte als actiongeladenes Mafia-, Horror- und Westerndrama zu verfilmen. Was dann folgt ist ein „Film im Film“, der alles bislang dokumentarisch Dagewesene in den Schatten stellt.

Beschreiben kann man die „Act of Killing“ vielleicht nur so: Wenn die Nazis gewonnen hätten, wäre er sinnbildlich ein glorifizierter Actionstreifen über die Vergasung und Ermordung tausender Juden – mit Himmler und Göring in der Hauptrolle, und Adolf Hitler als Gaststar. Und die Opfer selbst werden gespielt von echten Juden. „Act of Killing“ zeigt genau das – nur über den indonesischen Genozid.

Das macht den Film zu einer schwer verdaulichen, ganz persönlichen Reise. Er hinterfragt nicht nur das historische Ereignis und die Grausamkeit menschlicher Natur, er hinterfragt auch das eigene Ich, die eigenen Sehgewohnheiten, die eigene konstruktivistische Sichtweise von Moral und Gerechtigkeit. Er hinterfragt Indonesien genauso wie Guantanmo, die Propaganda des indonesischen Militärregimes genauso wie das Actionkino der westlichen Pseudodemokratien. Den ganzen Film über muss man sich immer wieder und wieder vor Augen halten, dass die gezeigten Szenen keine rein fiktiven Filmszenen sind, dass die gezeigten Mörder echte Mörder sind und dass man selbst Teil dieses selbstreflexiven Läuterungsprojektes wird – das am Schluß viel mehr wird, als ein einfacher Dokumentarfilm.

Noch nie war mir während eines Kinobesuchs so schlecht wie hier. „The Act of Killing“ ist qualvolles Kino. Eine Tour de Force. Klassisches Terrorkino. Nur in echt. Es legt immer und immer wieder eine Schippe drauf, baut eine „What-the-Fuck“-Szene nach der anderen ein und hört irgendwo ganz kurz vor dem „Snuff“-Gefühl auf.  Und als das Publikum im Kinosaal nach rund 120 Minuten gefühlt bereits erschöpft am Boden liegt, schlägt „The Act of Killing“ einfach noch weitere 30 Minuten auf die wehrlosen Zuschauer ein, die am Schluß sprachlos zurück bleiben.


(Äußerst sehenswertes Q&A mit Christine Cynn ca. ab Minute 15:50!)

Eine 30-minütige Q&A-Session mit Co-Regisseurin Christine Cynn wirkt wie eine erste Therapie-Sitzung und ermöglicht es, Einiges des Gezeigten in Relation zu setzen. Und so langsam erwacht man aus der Totenstarre zurück und begreift: „The Act of Killing“ ist mehr als Dokumentarfilm. Es ist möglicherweise Indonesiens ganz eigener „Nürnberger Prozess“. Bei der Bevölkerung hat der Film -der durch die Regierung verboten ist, aber über das Internet verbreitet wird- eine lang überfällige Debatte ausgelöst.

Dass ein kleines, mutiges Dokumentarfilmteam mit einigen cleveren -wenn auch vielleicht nicht immer ganz fairen- Kniffen, mit wenig Geld und wenig Personal am Ende so ein historisches Ereignis provoziert, ist vermutlich am Ende die schönste Botschaft. Sie zeigt nicht nur, dass wenige Menschen Großes bewegen können, sie beweist zudem, dass auch mutiges Filmemachen noch etwas bewegt. Und so gibt „The Act of Killing“ trotz seines schwierigen Themas, seiner Längen, seiner zwangsweise „Unkonsumierbarkeit“ und seiner direkten Grausamkeit vielleicht am Ende sogar mehr Kinomagie zurück, als sie einem durch die „vergewaltigten“ Szenen westlicher Kino-Sehgewohnheit geraubt hat. Und über alldem gibt sie mir vor allen den Glauben an relevantes, gutes Kino zurück – dass mich bewegt, beschäftigt und berührt.

Kein Film, den ich nochmal sehen will. Aber ein Film, der die für November geplante deutsche Kinoauswertung verdient hat. Für die Allgemeinheit wird die Fassung dort zwar um 30 Minuten auf ein „verdaulicheres“ Maß geschnitten – ich bin aber überzeugt, dass selbst diese Version meiner persönlichen Reise durch die Abgründe der Menschheit in wenig nachstehen wird. Ein ganz klarer „Daumen hoch“ für alle, die sich auch nur halbwegs für Dokumentarfilm begeistern können. Die Länge des Applauses am Ende des oben verlinkten Videos spricht hoffentlich für sich.

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