Politischer Pass-Gefangener

Seit 2010 bin ich politischer Gefangener der EU. Denn an dem Datum ist mein Reisepass ausgelaufen.

Ich habe keinen neuen beantragt. Warum? In erster Linie aus Protest über die biometrischen Datensammelwut – insbesondere der digitalen Erfassung von Fingerabdrücken. Die Gefahren sind mittlerweile ja wohl mehr als ausreichend bekannt und brauche ich hier wohl nicht mehr zu erläutern. Also habe ich mich gegen den Reisepass entschieden – und gegen die Möglichkeit, aus der EU auszureisen. Und dabei reise ich wirklich gerne.

Ich habe gewartet, denn Rechtsanwalt Schwarz aus Bochum hatte geklagt, weil er durch die Speicherung seiner Fingerabdrücke das Grundrecht auf den Schutz persönlicher Daten verletzt sah. Die Klage ging nun bis zum Gerichtshofes der Europäischen Union. Ich habe gewartet und gehofft. Das Gutachten ist nun da – und es ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht jedes Bürgerrechtlers, jedes Datenschützes und in meinen Augen sogar jedes Rechtsstaatlers. Und die Gleichgültigkeit, mit dem der EU-Gerichtshof hier die Debatte, die jeden Bürger betrifft, der einen Reisepass benötigt, hinwegfegt, ist in meinen Augen kränkend, verachtend, grotesk.

Die Klage wird abgewiesen. Die Begründungen im einzelnen lauten:

Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass die streitigen Maßnahmen insbesondere die dem  Gemeinwohl dienende Zielsetzung verfolgen, die illegale Einreise von Personen in die Europäische Union zu verhindern.

Was für ein Pech. Ich BIN nämlich schon in der EU. Und weißt du was, lieber EU-Gerichtshof: Alle anderen EU-Bürger sind auch schon in der EU. Das ist der Grund, warum sie EU-Bürger heißen. Es geht nicht darum, dass ich in die EU einreisen will – es geht darum, dass ich ohne Fingerabdrücke im Pass aus der EU ausreisen möchte. Und weißt du noch was? Für Nicht-EU-Bürger gilt dein bescheidenes EU-Recht leider garnicht! Blöd, was? Schon mal die „Pässe“ der Flüchtlinge gesehen, die in Lampedusa in die EU wollen? Get real! Wer zum Geier schreibt so einen Stuß? Mal ganz abgesehen davon, dass zahlreichen Flüchtlings-Organisationen der Satz allein vermutlich schon ganz schön die Galle hochkommen lässt.

Die Verordnung sieht jedoch ausdrücklich vor, dass die Fingerabdrücke nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, die Authentizität des Reisepasses und die Identität seines Inhabers zu überprüfen. Außerdem sieht sie die Speicherung der Fingerabdrücke nur im Pass selbst vor, der im ausschließlichen Besitz seines Inhabers bleibt. Da die Verordnung weder eine andere Form noch ein anderes Mittel der Aufbewahrung von Fingerabdrücken vorsieht, kann sie als solche keine Rechtsgrundlage für eine etwaige Zentralisierung der auf ihrer Grundlage erfassten Daten oder für eine Nutzung dieser Daten zu anderen Zwecken als der Verhinderung der illegalen Einreise von Personen in das Unionsgebiet darstellen.

Wo leben diese Menschen eigentlich? Scheinbar nicht in der EU. Eigentlich würde man doch erwarten, dass nach den Enthüllungen von Edward Snowden auch die Europäische Union nicht mehr so begeistert über die Datensammelwut der Geheimdienste ist. Wer ernsthaft glaubt, digitale Fingerabdrücke entweder auf dem RFID-Chip des Reisepasses oder womöglich auch bei der Übertragung zur Bundesdruckerei würden nicht abgegriffen, dem ist an Naivität kaum mehr zu helfen. Selbst wenn die inländischen Geheimdienste die Daten nicht abgreifen sollten, können wir sicher sein, dass sich ausländische einen -pardon- Scheißdreck um unsere Privatrechte scheren. Welcher Geheimdienst wäre so blöd, und würde nicht jeden Fingerabdruck und jedes biometrische Bild bei der Einreise in sein Land erfassen und zentralisiert speichern. Die digitalen Daten liegen ja bereits schön lesebereit auf dem Chip vor – sogar kontaktfrei. Da reicht es ja schon, am Flughafen nur an einem geheimen Lesegerät vorbei zu laufen. Den Vorwurf mit dem Argument abzutun, dass „die Verordnung“ ja keine „andere Form“ der Speicherung vorsieht und dabei in keinster Weise auf die Gefahren, aktuellen Geheimdienst-Geschehnisse sowie den lauten Wunsch der Vollzugsbehörden und zahlreicher Politiker nach einer Zentralisierung einzugehen, ist fast schon heuchlerisch. Ich wünschte echt, die zentrale Datenbank wäre bereits jetzt beschlossene Sache, dann könnte man so einen Stuß nicht mehr schreiben.

Das ist auch schön:

Insbesondere ist das Verfahren der Iris-Erkennung technisch noch nicht so  ausgereift wie das der Erfassung von Fingerabdrücken und wegen seiner derzeit noch deutlich höheren Kosten für eine allgemeine Anwendung weniger geeignet.

Seit wann geht es in der Debatte um Alternativen? Aber schön zu wissen, dass man bereits jetzt damit liebäugelt, noch mehr persönliche Daten der Bürger zu sammeln, es aber blöderweise technisch noch nicht kann.

Überdies stellt der Gerichtshof fest, dass die Verordnung auf einer geeigneten Rechtsgrundlage ergangen ist und dass das Verfahren, nach dem die im vorliegenden Fall anwendbaren Maßnahmen getroffen worden sind, fehlerfrei war, da das Parlament an ihm in vollem Umfang als Mitgesetzgeber mitgewirkt hat.

Immer wieder schön, wenn der Gerichtshof feststellt, dass die Sache ja rechtens sein muss, weil das Parlament ja selbst daran mitgewirkt hat. Auf gut deutsch heißt das: Gewaltenteilung gibt’s nicht mehr. Was das Parlament macht, kann ja nicht falsch sein. Kontrollorgan? Fehlanzeige! Auch wenn ich ein großes Freund von Freizügigkeit, Abkommen und Grenzabbau bin – die EU als politisches Organ hat für mich völlig verschissen. Wenn wir die Grenzen wieder zumachen müssten, um uns nicht von solchen Flachpfeifen-Argumenten die Bürgerrechte wegnehmen zu lassen – ich würde sofort Ja stimmen.

Ich reise eigentlich wirklich gern. Sieht so aus, dass ich weitere 4 Jahre ohne Reisedokument nicht auskommen werde. Wie Anwalt Schwarz hatte ich so lange darauf verzichtet und gehofft. Schwarz hat mittlerweile angekündigt, sich „dem Grenzregime“ nicht zu unterwerfen. Wenn „ich keinen Reisepass ohne meine Fingerabdrücke kriege, dann verzichte ich auf den Reisepass“. Der prüft jetzt außerdem die Möglichkeit, beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nochmal zu klagen. Seine Worte kann ich nur unterschreiben „Das ist ein Armutszeugnis für die Geltung der Menschenrechte in der EU. Da kann einem angst und bange werden.“ Denn heute noch ziehe ich als EU-Kritiker auf meinem Blog über die Europäische Union her – und zukünftig findet man die Fingerabdrücke des „Terroristen Grünwald“ zufällig bei einem Terroranschlag am Flughafen. Fiktion, klar. Aber wie häufig hat sich die Fiktion in den letzten Jahren durch die Realität überholt.

Mir stinkt’s gewaltig. Was bleibt ist nicht viel. Der wohl noch fingerabdruckfreie Express-Pass ist eine (teure) Alternative mit viel Stress und Risiko und funktioniert nur noch bei einigen Ländern. Oder ich vertraue auf die Aussage, dass die Datenübermittlung zur Bundesdruckerei sicher ist, die dort die Daten (sicher) löschen – und hoffe, dass dann -rein zufällig- die RFID-Antenne im Pass kaputt geht. Wer kennt sich denn mit so Themen wie „Sofortbildkamera“ und „Elektromagnetisches Feld“ aus? Meine Lötkolbenzeit ist leider lange vorbei. Ich brauche Hilfe!

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