Bücher als Abenteuerspielzeug

Für mich gibt es eigentlich nur zwei wahre Jugendbuchautorinnen – die eine ist Enid Blyton, und die andere Antonia Johanna Dragt, genannt Tonke Dragt. Während Blyton einfach nur schöne Fortsetzungsgeschichten nach klassischem Muster schreibt, die man einfach immer wieder lesen kann (Fünf Freunde etc.), ist die in Jakarta aufgewachsene Tonke für mich einfach ein Genie des Wortspiels – und das meine ich wörtlich. Ihre Bücher sind keine herkömmlichen Kinderbücher mit spannenden Geschichten. Sie sind richtige Abenteuerlektüren – mit Geheimbotschaften, Sprüchen, herausgerissenen Seiten und vielem mehr. Tonke spielt mit den jungen Lesern – und das ist es, was mich an ihr so unglaublich fasziniert. Die Geschichten von Tonke Dragt sind keine interaktiven Bücher, aber sie laden mindestens ebenso zum Nachdenken und sinieren ein wie ein Adventurespiel. Warum ich das schreibe? Nun, aktuell höre ich mir das Hörbuch zu ‚Die Türme des Februar‘ an – einem Meilenstein der Jugendliteratur, dem Memento meets Blair Witch Project für Kids! Gespannt war ich, ob man so ein Buch wirklich in Hörform bringen kann. Denn Die Türme des Februar spielt mit Realitäten. Es handelt sich dabei um ein Tagebuch, das die Schriftstellerin Tonke Dragt ausgehändigt bekommen hat und das sie nur insoweit bearbeitet hat, wie es für eine Veröffentlichung unumgänglich war. (Rechtschreibfehler korrigiert, erklärende Fußnoten eingefügt etc.) Dieses Tagebuch hat ein Junge geschrieben, um sein Gedächtnis wiederherzustellen. Eines Tages findet er sich an einem Strand wieder und weiß nicht, wer er ist. Er kennt die Gegend nicht. Als er sich zu orientieren versucht, sieht er, daß es nur eine Fußspur am Strand gibt, seine eigene -und die kommt direkt aus dem Meer. Weiter entfernt auf See, sieht er ein Schiff liegen. Ist er von dort gekommen? Seine Uhr ist stehengeblieben. Was sind das für Türme da drüben? Einerseits kommen sie ihm gefährlich vor, andererseits fühlt er sich von ihnen angezogen. Er beschließt, zu diesen Türmen zu gehen. Dort angekommen, trifft er einen alten Mann, der ihm rät, alles aufzuschreiben, es sei wahrscheinlich, daß der Junge sich dann wieder erinnern könne. Und er muß sich erinnern, denn Menschen ohne Gedächtnis werden gejagt und gefangen genommen. (Quelle) Dabei ist nicht nur die Tagebuch-Form (und deren zahlreichen Besonderheiten spannend) sondern vor allen Dingen auch ein großer Anhang von Tonke selbst, in der zahlreiche Leserbriefe, Hinweise und neue Ideen zu den abgedruckten Tagebuchseiten veröffentlicht werden. In jeder neuen Ausgabe des Buches wird der Anhang erweitert – ein richtig spannender Informationsaustausch um das Rätsel dieses Buches entsteht – und zwar nicht nur von Kindern sondern auch von Erwachsenen (die sich von der Lektüre scheinbar ebenso verzaubern lassen). Wie häufig passiert sowas noch? Wie häufig können sich Kinder gemeinsam mit Erwachsenen in eine andere Realität verlieren, gemeinsam rätseln, und schreiben danach sogar noch klasssiche Post (und eben keine E-Mail) die dann in Buchform veröffentlicht werden? Für mich jedenfalls ist jede Ausgabe von Die Türme des Februar ein kleines Juwel. Funktioniert das Ganze nun in Hörbuch-Form? Eine ziemlich klare Antwort: Nein, absolut nicht. Sprecher Konstantin Graudus gibt ja wirklich sein Bestes, aber die Besonderheiten eines Tagebuchs, dass von einem Jungen geschrieben und mit all der für Kinder typischen Rhetorik versehen ist, lässt sich nicht in Worte einfangen. Die Besonderheiten des Tagebuchs (beispielsweise die Seitenanordnung oder die Art der Datumssetzung) sowieso nicht. Nichts desto trotz kämpf ich mich mal weiter durch die CDs und füge das Hörbuch mal rechts in die ‚Now Listening‘ Reihe ein. Summa Summarum: Wer mal wieder ein richtig gutes Jugendbuch lesen will, der mache um die Hörbuchvariante lieber einen großen Bogen und kaufe sich Die Türme des Februar in klassischer Druckform – denn nur so und nicht anders funktioniert dieses kleine Wunderwerk. Da das Buch derzeit sogar als günstige Taschenbuchausgabe von nur 6,00 Euro bei Amazon.de verfügbar ist – ist das für mich gleich auch noch ein absoluter Kauf- und Weihnachtsgeschenk-Tipp!

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