Loving Vincent (Rezension)

Vincent van Gogh ist tot. Der Sohn des ortsansässigen Briefträgers erhält einen Brief, den er seinem Bruder Theo überreichen soll. Doch auch Theo ist plötzlich tot. Auf der Suche nach einem alternativem Empfänger gerät der Protagonist in immer widersprüchlichere Aussagen zu Charakter und Befindlichkeit des Malers. Seine Neugier ist geweckt, ein für allemal zu klären, wer van Gogh wirklich war.

So einfach die Prämisse der Geschichte, so komplex ist doch seine Wirkung. Loving Vincent ist nicht nur der Versuch, dem Geist van Goghs auf die Schliche zu kommen. Er ist gleichzeitig auch Hommage an die Ästhethik seiner Bilder, die Schönheit seines Charakters und die Kunst an sich. Sie ist aber auch eine Verneigung vor verkannter Größe und Schönheit, eine feinfühlige Kondolenz für alle Künstler, die mit Herzblut geschaffen und denen ihre Aufopferung zu Lebzeiten die Menschheit nicht rechtzeitig zurückzahlen konnte.

Fast schon wie selbstverständlich präsentieren die beiden Regisseure Dorota Kobiela und Hugh Welchman Loving Vincent daher als Animationsfilm, hinter denen 125 quasi ebenso namenslose Künstler die Welt von van Gogh Bild für Bild zum Leben erwecken – in rund 60.000 Einzelbildern. Als Ölgemälde. Im Stil van Goghs. Der Aufwand ist gewaltig, doch er lohnt.

Nicht nur atmet der Film damit den visuellen Geist der Künstlers, er setzt sein Leben auch in Kontext mit seinen Werken. So erhält sein von ihm portraitierter Arzt Dr. Paul Gachet ebenso eine zentrale Filmrolle wie die Hauptperson Armand Roulin und sein Vater Joseph. Die Bilder leben, ohne die Genialität seines Zeichenstils zu kompromitieren.

Das erstaunliche: Trotz dem hohen Fokus auf Ästhethik und Bildrausch bleibt der Film im Kern eine menschliche Geschichte, die funktioniert. Ganz ohne großen TamTam nähert er sich immer weiter seiner Figur, verpackt in eine durchwegs spannenden Aufdeckungsgeschichte, die gekonnt mit Clint Mansells mitreißender Musik unterlegt ist. Der Bildrausch tritt bald in den Hintergrund und irgendwann steht dann nur noch der Mensch van Gogh da. Als ein Mensch, der liebt und geliebt werden – und doch nur nicht sprechen könne, ausser mithilfe seiner Werke.

Genau diese Stimme gibt ihm der Film. Allein die Tatsache, dass sich das Filmteam der Mammutaufgabe in einer Zeit blockbustergetriebenen Mainstreams trotzdem annahm, macht Mut. Es geht am Ende in Loving Vincent eben nicht nur um einen liebenden und geliebten Vincent. Es geht auch um das eigene Kunstwerk, ein Liebesprojekt, gestemmt von zahlreichen Künstlern, die sich und van Gogh mit aller Kraft ein Denkmal setzen. Dass dann trotz des hohen Experimentalgehalts auch noch Stil, Dramaturgie, Aussage und Seele des Films eine Einheit ergibt ist einfach rundum schöne Filmkunst, die den Besuch im Kino absolut rechtfertigt.

 

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