Makoto Shinkais Neuer: Children Who Chase Lost Voices from Deep Below (Review)

Das ist er also, der neue Kinofilm von Makoto Shinkai. Dem vermutlich beachtenswertesten Anime-Jung-Regisseur unserer Zeit, der zuvor mit Filmen wie „A Place Promised in Our Early Days“, „5 Centimeters per Second“ oder „Voices of a distant Star“ die Herzen schwelgerischer Kinogänger erwärmte.

Shinkai ist ein Phänomen. Ein Kinofilm, den ein Hayao Miyazaki für das Studio Ghibli mit über 100 Mitarbeitern entwirft, schafft dieser unscheinbare Japaner auf dem Mac in seinem Wohnzimmer – häufig allein. Er ist Autor. Animator. Produzent. Shinkais Filme sind Shinkai und das macht sie so sehenswert. Kitschig, ja. Aber filterfrei und irgendwo auch frei von jeder wirtschaftlichen Absicht und damit eines der ganz seltenen Stücke Romantik-Kinomagie, die ehrlich ist. Sein erstes großes Werk, die oben erwähnte Trilogie, handelt von Verlust und vom Entrissen sein, von Einsamkeit und den Sackgassen des Nicht-Loslassen-Könnens. Teilweise mit brachalien, resignierenden Einsichten. Mit „5 Centimeters“ hatte Shinkai seine Aufarbeitung des Themas endgültig abgeschlossen – nicht ohne die für ihn typische Sprach- und Bilder-Lyrik, bis dass die Schmalzschwarte kracht. Wird in dem fast 2 Stunden langen „Kodomo“ erneut philosophiert und geschmachtet?

Nicht wirklich. Dahin, wo in Shinkais Filmen bislang viele Off-Sprecher und tiefgründige Analysen menschlicher Psyche den Ton angaben, gesellt sich in Hoshi o ou kodomo nun eine ganz klassische Abenteuergeschichte, die einfach erzählt ist: Ein Mädchen und ihr Lehrer sind auf der Suche nach der Unterwelt, um dort ihre toten Mitmenschen zu finden – und möglicherweise wieder aufleben zu lassen. Im Falle des Mädchens ist die Motivation dafür relativ schlecht begründet. Wo sich Shinkai vorher viel Zeit für seine Charaktere und ihre Gefühle nahm, muss er nun relativ schnell einen Mitmenschen einführen, der im Verlauf des Films fast sofort wieder von der Bildfläche verschwindet und somit zwangsweise blass bleibt. Die verzweifelte Suche nimmt man der jungen Asuna so nicht ganz ab, eine Liebesgeschichte entwickelt sich ohnehin kaum. Im Falle des Lehrers fehlt die Bezugsperson für den Zuschauer völlig. Das führt teilweise soweit, dass Asuna im Laufe des Films sich plötzlich selbst die Frage stellen muss, warum sie überhaupt mitgegangen ist.

Auf ihrem Weg ersetzen nun zunehmend Actionsequenzen die sonst philosophisch-nachdenklichen Passagen Shinkais früherer Filme. Damit dürfte „Kodomo“ mit Sicherheit zum zugänglichsten Film aus seiner Feder zählen. Der Griff nach den obersten Riegen im Anime-Business und selbst die Anspielung auf Ghibli sind dem Independent nicht ganz abzustreiten. Schade eigentlich, denn genau das hatte seine vorherigen Filme so erfrischend anders im Anime-Segment gemacht. Die Sequenzen, in denen gegen dunkle Monster gekämpft wird, sind dabei keineswegs schlecht in Szene gesetzt, nur gelingt es Shinkai im Gegensatz zum ebenfalls vergleichsweise actionreichen Erstlingswerk „Voices“ diesmal kaum noch, die Sequenzen in einen konkreten, ethischen Handlungsbogen zu stellen. Sie sind, was sie in fast allen anderen Anime-Filmen auch sind: Lückenfüller für’s schnelle Gehirn abschalten. Erst gegen Ende, wenn Asuna einsam durch eine Moorlandschaft streift und von allen Seiten durch Dämonen belagert wird, bekommt die Handlung wieder eine etwas teifergreifende Brisanz.

Zum gleichen Zeitpunkt löst Shinkai dann auch auf, worum es ihm in seinem aktuellen Machwerk geht – nach fast 90 Minuten Abenteuer-Laufzeit mit vergleichsweise vielen Handlungsbögen und Charakteren, die nur minimale Aufgaben im Vorantreiben der Idee haben, wirkt das etwas aufgesetzt, ändert aber nichts daran, dass man hier plötzlich wieder Shinkais unerreichtes Fingerspitzengefühl für Themen der Menschlichkeit erspüren kann. Waren seine letzten Filme durchgehend durch Schmerz und Melancholie geprägt, setzt er diesmal ganz bewusst den Neuanfang in den Mittelpunkt der Geschichte und führt damit, höchstwahrscheinlich ebenfalls bewusst, seine komplette Reise ad adsurdum. Das im Film durchzogene Thema des Abschieds wird am Ende durch ein „Hallo“ konterkariert, dass sich bis in den Endsong mit dem treffenden Namen „Goodbye and Hello“ hineinzieht: Jeder Abschied ist auch ein Anfang, könnte man die simple Botschaft abkürzen.

So wirklich etwas komplett Neues erfahren hat man als Zuschauer diesmal irgendwie nicht. Aber vermutlich soll der Film das auch garnicht erreichen. Es ist Shinkais erster auf mehr Mainstream getrimmter Film. Gerade noch genug Schmalz für die eingefleischten Fans von fallendem Schnee im Schornstein-qualmenden Winterdorf, verkitschten Sonnenuntergängen mit vorbeifliegenden Möwen oder blau-lila durchsetzter Wolkenhimmel mit Lensflares. Und gerade genug Zugänglichkeit für Freunde klassischer Anime-Abenteuer mit einer kleinen Botschaft und einigen Berieselungs-Phasen. Das ganze verpackt in Shinkais unfassbarer Grafik, von der man sich erneut jeden Hintergrund am liebsten sofort an die Wand hängen würde. Die Qualität der Zeichnungen allein ist somit durchaus mitreißend und Shinkai zieht in der Unterwelt alle Register, um sie mit spannenden und fantasiereichen Figuren zu bevölkern und eine ganz tolle Atmosphäre zu schaffen.

Basti: Hoshi o ou kodomo hat mich zunächst ein wenig enttäuscht. Ich hatte eine erneute, gefühlsstarke Reise erwartet, die durch ihre Direktheit, manchmal auch grausame Ehrlichkeit an sich auch irgendwo eine spannende Achterbahnfahrt ist. Geliefert hat mir Shinkai einen unglaublich toll gezeichneten Anime, der perfekt unterhält und damit mit Sicherheit auch zum Besten gehört, was die japanische Animationsszene im letzten Jahr herausgebracht hat. Der Schluß fühlt sich warm und menschlich an, so wie man das von Shinkai gewohnt ist – bis dahin sind aber auch viele sehr gewöhnliche Szenen im Film zu sehen. Vielleicht macht sich auch das erstmalig völlige Fehlen von der für ihn sonst so typischen Off-Stimme bemerkbar, die vorher einen tieferen Blick in die Charaktere erlaubt hatte. Insofern kann mich Shinkai mit diesem Werk nicht ganz so interessiert mitreißen wie z.B. mit 5 Centimeters. Die Charaktere sind mir einen ticken zu egal, die Idee zu trivial, die Actionsequenzen zu brachial. Geschmachtet habe ich trotzdem ein wenig – der tollen Animation und Grafik wegen. Auch der Soundtrack überzeugt erneut. Wer mit den lyrischen Werken ohnehin nie was anfangen konnte und sowieso auf ein audiovisuelles Erlebnis aus ist, für den könnte dies aber der Beste der Shinkais sein. Eine deutsche Veröffentlichung ist für 2012 bei Kazé geplant.

Originaltitel: Hoshi o ou kodomo

Produktionsland: Japan 2011

Regie: Makoto Shinkai

Darsteller: Hisako Kanemoto, Kazuhiko Inoue, Miyu Irino

Trailer

0 Gedanken zu “Makoto Shinkais Neuer: Children Who Chase Lost Voices from Deep Below (Review)”

  1. Hab ihn auf der Nippon Connection gesehen – und hat mir super gut gefallen. Allerdings kenne ich die anderen Filme von Shinkai noch nicht, obwohl sie (teilweise schon länger) hier bei mir im Regal stehen. Wird aber demnächst geändert 😉

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